Absturz oder Chance?

Jazzlabels im Zeitalter des Internet
SWR2, 18.06.2015

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...mit Michael Rüsenberg.
„Absturz oder Chance - Jazzlabels im Zeitalter des Internet“.
Eine Sendung für alle, die wissen wollen, wo sie morgen noch Jazz-Tonträger kaufen können - wobei übermorgen der Begriff „Tonträger“ schon museal sein wird.

KLAUS DOLDINGERS PASSPORT Stratosport, 4:53

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„Stratosport“, ein Stück aus dem neuen Album von Klaus Doldingers Passport, „en route“.
Das wird, aller Erfahrung nach, zu den besser verkauften Jazz-Alben des Jahres 2015 in Deutschland gehören, obwohl es diesmal - vermutlich - nicht für einen „Jazz Award“ reichen wird. Das ist Doldinger dreimal in den 90ern gelungen, zuletzt 2006 für seine Marokko-Produktion.
Die Auszeichnung vergibt der Bundesverband der Musikindustrie in „Gold“ für 10.000 und in „Platin“ für 20.000 verkaufte „Einheiten“.
Aus diesem Begriff geht hervor, dass hier nicht mehr nur „Tonträger“ gezählt werden - also LP und vor allem: CD -, sondern auch „downloads“, also die legal, bezahlt, aus dem Internet heruntergeladenen Klangdateien der jeweiligen Produktion.
Und wenn man alle Käufe zusammenzählt von den Künstlern, die wir zweifelsfrei unter „Jazz“ subsumieren, aber auch Götz Alsmann und Nana Mouskouri - ja auch die werden in dieser Verkaufsstatistik unter Jazz geführt und sie verkaufen weit mehr als die uns genehmen „richtigen“ Jazzmusiker.
Wenn man alles zusammenzählt von Michael Wollny und Pablo Held bis Nana Mouskouri, dann erzielt Jazz einen Anteil am Gesamtumsatz von 1,4 Prozent. Das war schon mal mehr, aber seit Jahrzehnten pendelt „Jazz“ um die Marge 2 Prozent.
Unter den 18 Kategorien dieser Statistik ist das so viel - oder so wenig - wie „Country/Folk“, „Comedy“ oder „Volksmusik“, und lediglich ein Viertel von „Klassik“.
Wir sprechen hier also trotz Pat Metheny, Brad Mehldau und Wynton Marsalis von einem Nischenmarkt.

VOLKER DUECK
Volker Dueck

 

Ich bin zufrieden, wenn wir eine Verkaufsauflage von 1.000 Stück erreichen, dann sind sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der CD entstanden sind, gedeckt - nicht nur einfach die Pressung.
Das wäre, als wenn man den Brotpreis vergleichen würde mit dem Mehleinkaufspreis beim Bäcker. Da muss viel, viel mehr reingesteckt und Arbeit verrichtet werden.
Aber, für eine nationale Veröffentlichung, die man nicht international promoten und bewerben muss - da bin ich froh, wenn 1.000 Stück verkauft sind, über die verschiedenen Wege:
Konzertverkäufe, Handel, download.



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Volker Dueck von Deutsche Media Productions in Freiburg.
Er vertritt Labels wie Double Moon, Between The Lines und Intuition.
„Konzertverkäufe“ machen 30 Prozent seiner Einnahmen aus, „Handel“ (d.h.physische Tonträger in dem halben Dutzend deutscher Städte, wo man noch Läden findet, die Jazz anbieten sowie mail order) 20 Prozent.
Und downloads aus dem Internet, die große Wachstumshoffnung, rangieren bei ihm bei 10 Prozent.



VOLKER DUECK
Tja, die downloads sind schon wieder auf dem Weg nach unten. Das war meiner Ansicht nach eine kurze Erscheinung in der Geschichte der Konsumtion von Musik. Wahrscheinlich in den nächsten 5, 6 Jahren wieder in der Versenkung verschwinden. Weil es keinen Sinn macht, etwas downzuloaden und damit den Rechner zu verstopfen, was ich ohnehin jederzeit hören kann.

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Apropos Verstopfung: trotz der geringen Auflagen ist das Angebot an Jazz-Tonträgern (demnächst werden wir von recorded music sprechen) phänomenal gross:

VOLKER DUECK
Es gibt im Bereich Jazz an die 400 offizielle CD- Veröffentlichungen pro Monat. Wenn wir jetzt noch die inoffiziellen dazunehmen, die werden nirgendwo statistisch geführt, aber nach meinem Gefühl, nach meinem Wahrnehmen des Marktes kommt noch mal die doppelte Menge an CDs dazu, die von Musikern selbst produziert wurden und kein Labe gefunden haben.

JOHANNA SCHNEIDER QUARTET Waters of March, 4:43

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Die Sängerin Johanna Schneider aus Bamberg mit der Interpretation eines bekannten Titels von Antonio Carlos Jobim, „Waters of March“, aus ihrem Album „Pridetime“.
Johanna Schneider veröffentlicht bei einem der von Volker Dueck betreuten Labels, und sie wird mit dieser CD schon deshalb keine Schwierigkeiten haben, die kosten-deckende Grenze von 1.000 Exemplaren, pardon: Einheiten, zu erklimmen, weil allein 730 an diejenigen Leser der Zeitschrift „jazz-thing“ ausgeliefert werden, die dort ein spezielles Abo gebucht haben.
Und ganz sicher wird auch sie CDs bei ihren Konzerten verkaufen - im Jazz deerzeit noch das A & O des Tonträgerverkaufs.

VOLKER DUECK
Die hat über die Jahre immer zugenommen und wurde zu einer Art Rückgrat auch für viele kleinere Labels, vor allem dass da Konzertverkäufe stattfinden, die Musiker die CDs mitnehmen.
Ich habe das Gefühl, dass es stagniert hat die letzten 2, 3 Jahre, und ich fürchte, dass es sogar jetzt auf dem Weg nach unten ist. Weil lauch Künstler mir immer wieder erzählen, dass nach dem Konzerte gefragt wird: „Sind deine Sachen bei Spotify, bei Simfy oder anderen Streaming-Anbietern?“ Und wenn man das bejaht, kommt ein begeistertes „Oh ja, das höre ich mir dann gleich zu Hause an!“
Also, es ist nicht mehr notwendig, die CD zu kaufen.
Es gibt natürlich noch andere, die freuen sich auf signierte CD, nehmen das mehr als Sammlergut mit, aber ich fürchte: nicht unbedingt als das Medium, mit dem sie dann die Musik tatsächlich hören.

TOM RAINEY Secret Love, 3:25

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„Secret Love“, der bekannte Jazz-Standard, in der Fassung einer Gruppe um den amerikanischen Schlagzeuger Tom Rainey.
Dessen Album „Obbligato“ ist auf einem Label erschienen, das stilistisch ein klares Profil zeigt; es vertritt große Teile der europäischen und amerikanischen Avantgarde - intakt in Zürich, geleitet von Patrick Landolt.
intakt hat Mäzene im Hintergrund, aber auch hier können Musiker nicht darauf hoffen, dass das Label für alles einsteht - sie müssen sich an den Kosten beteiligen.

PATRICK LANDOLT
landoltBei jeder CD machen wir einen Finanzierung- und Kostenplan und sitzen dann mit dem Musiker zusammen.
Wenn ich weiss: die Deckungsauflage sind 3.000 Verkäufe bei dieser Produktion, dann kann natürlich der Musiker nicht sagen: "das interessiert mich überhaupt nicht - jetzt mach´ mal!“ Wir suchen gemeinsam Lösungen, woher wir das Geld auftreiben. Der eine hat einen reichen Onkel (das sind eher die Ausnahmen)l oder er hat ein Erbe (ist auch eher die Ausnahme). Oder er kommt in der Schweiz vielleicht aus einem Kanton, der für CD-Produktionen Zuschüsse gibt.
Wir versuchen, gemeinsam die Finanzierzung zu sichern. Ich kann nicht einem jüngeren Musiker sagen: "ich mach´ das einfach, wenn du nur 300 verkaufst, dann bleibt halt ein Loch von 10.000 oder 15.000 Euro" - das wäre verantwortungslos, da würde ich einen ganzen Katalog gefährden.

NILS WOGRAM NOSTALGIA Village for Sale, 5:24



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„SWR2 Now Jazz - Absturz oder Chance? - Jazz-Labels im Zeitalter des Internet“
Auch dieser Beitrag kommt aus Zürich: das Nostalgia-Trio des Posaunisten Nils Wogram, mit einem Stück aus dessen jüngsten Album „Nature“.
Wogram, geboren in Braunschweig, musikalisch großgeworden in Köln, lebt seit einigen Jahren in Zürich.
2011 gründet er dort sein eigenes Label, Nwog Records. So etwas tun viele Jazzmusiker, weil sie frustriert sind von ihren bisherigen Partnern bei der mehr oder weniger kleinen Jazz-“Industrie“.
Nwog Records ist gleichwohl etwas Spezielles, denn Wogram veröffentlicht nicht nur eigene Projekte, sondern auch die von Kollegen, er ist - mit anderen Worten - selbst „Label-Chef“.

NILS WOGRAM
Ich kann jetzt keine Zahlen offenlegen, schon mal gar nicht für Leute, die auf meinem Label Sachen veröffentlichen. Das ist sozusagen Berufsgeheimnis.
Ich kann soviel sagen: für mich, für meine Alben auf dem Label, lohnt es sich unterm Strich auf jeden Fall, ich verdiene tasächlich auch Geld damit. Das hat aber mit bestimmten Mechanismen zu tun, die der Tatsache geschuldet sind, dass es ein Musikerlabel ist, d.h. dass ich die CD teilweise auch selbst auf Konzerten verkaufen kann. Es ist quasi eine Mischkalkulation. Es gibt einen sehr guten Vertrieb im deutsch-sprachigen Raum, da kommt einiges ans Geld bei rum, die haben auch einen digitalen Ableger und einen physischen, wo die CDs kann über alle Plattformen verkauft werden. Das kann ich als Label natürlich nicht selbst machen, dafür ist ein Vertrieb ideal.

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Nils Wogram steht mit seinem Musiker-geführten Label keineswegs allein.
Ich will zwei prominente Beispiele nennen: Dave Douglas in New York mit seinem Green Leaf-Label, das gleichfalls befreundete Künstler publiziert.
Oder der sehr geschäftige amerikanische Bassist Michael Janisch mit seinen Whirlwind Recordings.
Nwog mit Nils Wogram hat einen anderen Zuschnitt.
Aber, warum tut er sich das überhaupt an: in so unsicheren Zeiten auch noch für Kollegen Sorge zu tragen?

NILS WOGRAM
Nils WorgramIch möchte Musikerfreunden und -kollegen auch eine Plattform geben und einen fairen Deal, dass sie irgendwie die Möglichkeit haben, ihr künstlerisches Fortkommen auch zu dokumentieren. Un d das zu fairen Konditionen.
Aber wenn man wirklich diese professionellen Strukturen haben möchte und auch medial wahrgenommen werden möchte, dann braucht man so eine Plattform wie ein Label. Wir arbeiten mit Leuten zusammen, die sozusagen das Wort herumreichen, dass es diese Veröffentlichung gibt, dass das möglichst viele Leute mitbekommen, das Publikum und auch Journalisten. Ich habe nicht die finanziellen Möglichkeit zu sagen "ok, ich finanziere das alles und bezahle dich dafür."
Deswegen habe ich mir so einen Genossenschaftsdeal ausgedacht, d.h.: Leute, die auf meinem Label etwas veröffentlichen, teilen sich mit mir die Kosten, ich nehme keine Prozente. D.h. die müssen erst mal ziemlich ins Risiko gehen, Geld aufwerfen, um das überhaupt alles zu finanzieren, bekommen aber auch 100 Prozent der Einnahmen, und das Produkt gehört ihnen.
Das ist eigentlich ein ziemlich ähnliches Modell, wie es auch schon seit Jahrzehnten für Musiker-freundliche Labels wie z.B. Jazzhaus Musik.



NIELS KLEIN TUBES AND WIRES Erase, 5:27

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Auch der Kölner Saxophonist Niels Klein publiziert bei Nils Wogram, jüngst ist er für sein Album „Tubes and Wires“ mit einem „Echo Jazz“ ausgezeichnet worden - ein Preis, dessen eingeschränkter Wert Wogram durchaus bewusst ist.
Apropos Echo Jazz: der Chef des ECM-Labels, Manfred Eicher, unbestritten der wichtige Jazz-Produzent in Deutschland, boykottiert den Preis seit
Jahren.
Ihn hätten wir gerne in dieser Sendung gehabt, er hatte großes Interesse daran. Uns lag auch eine feste Zusage von ihm vor - aber leider ist es nicht zu einem Interviewtermin gekommen.
Wir haben die Sendung ein wenig umgestrickt, und zwar insbesondere durch eine alarmierende Meldung in der vergangenen Woche: nun steigt auch Apple mit Apple Music in den Streaming-Markt ein!



VOLKER DUECK
Ich kann mich gegen die physikalischen Fallgesetzte wehren, das ist genauso sinnvoll, wie wenn ich mich gegen Streaming wehre. Das ist die bequemste, einfachste Art, Musik zu hören: jederzeit, überall auf der Welt Sachen zu hören, die ich hören will in diesem Moment. Also ich streame seit Jahren, und ich finde es sehr bequem.

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Was da in der Metapher des Freiburger Produzenten Volker Dueck mit der Unerbittlichkeit eines Naturgesetzes auf uns zukommt, ist in der Tat eine Revolution, die den Kauf der Musik völlig neu ordnen wird: Streaming.
Das heisst nicht einfach: Musik aus dem Internet, man kauft auch keine Soundfiles mehr, man „besitzt“ Musik gar nicht mehr.
Man zahlt für´s Hören, ca 10 Euro im Monat, und hat die Auswahl aus einem unfassbar großen Katalog.
Es reicht das handy, ein Tablet- oder sonst ein Computer.

VOLKER DUECK
Als gelegentlicher Hobbymusiker, wenn ich mal ein Solo mir anhören will, das Wayne Shorter zu einem Standard gespielt hat, dann suche ich nicht mehr im CD-Regal, sondern ich tippe halt über meinen account beim Streaming-Anbieter das Stück an, hör´ mir das kurz an - und das reicht dann. Das muss ich mir nicht kaufen. Ich hab´s mal gehört und wollte mir eine Idee davon geben lassen, wie Wayne Shorter oder irgendein anderer zu diesem Stück soliert. Und damit ist dann auch wieder gut.

MICHEL REIS QUARTET Capturing this Moment, 4:15


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„Capturing this Moment“, Titelstück des jüngsten Albums des Luxemburger Pianisten Michel Reis.
 Volker Dueck hat es produziert, auf einem seiner Labels veröffentlicht - und vollständig bei einem Streaming-Anbieter untergebracht.

NILS WOGRAM
Streaming - da kommt überhaupt nichts bei rum. Ich sehe das bei der GEMA-Abrechnung, diese 1-Cent-Beträge, da kommt dann seitenweise "Streaming", und unterm Strich steht dann ein Betrag von 2,10 Euro.
Sprich: das lohnt sich überhaupt nicht!

VOLKER DUECK
Eine ganz einfache Zahl: wenn das Stück eines Künstlers 1 Mio mal gehört wird, erhält das Label 15 Euro, das es dann auch noch als Beteiligung an den Musiker ausgibt.
MR: das heisst, der Wert der Musik sinkt. Ständig?
Permanent. Der ist auf dem Sinkflug seit den 80er Jahren, und vielleicht sogar noch früher mit dem, was ich immer als den Sündenfall bezeichne: mit der Aufhebung der Preisbindung für Platten. Wo die Politik gerade aktuell die Buchpreisbindung sogar auf e-books ausdehnen will, kommt kein Mensch auf die Idee, dass möglicherweise, unter Umständen Musik einen ähnlichen Wert hat wie Literatur, vielleicht sogar gleichviel wie ein Wanderführer oder Kochbuch, die dann einer Preisbindung als kulturellem Gut unterliegen. Und Musik ist dem freien Fall ausgeliefert, in Grunde genommen seit der Aufhebung der Preisbindung.

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Das geschah durch den Bundesgerichtshof im Juni 1966.

TRIO 3 & VIJAY IYER Suite for Trayvon and Thousands more, 5:10

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Patrick Landolt hat diese Produktion auf intakt verlegt:
Trio 3 plus Vijay Iyer. Und er rechnet vor, was von einem Monat Verkauf im Heimatland des Quartetts, in den USA, bei ihm in Zürich eintrifft.

PATRICK LANDOLT
Wir haben in den USA einige Titel, die sich auch physisch gut verkaufen, etwa Trio 3 mit Oliver Lake und Vijay Iyer, wurde überall in Amerika gut besprochen und verkauft sich eigentlich nicht schlecht. Wir haben in diesem Monat 3.500 Verkäufe im digitalen Bereich gehabt. "Verkäufe" ist jetzt übertrieben, man kann auch sagen "Berührungen", weil da sind von den Streams drin bis zu Hifi-downloads bis zu den normalen downloads, also all die verschiedenen Angebote im digitalen Bereich abgerechnet über unseren Vertrieb. Und was dann über diese 3.500 Verkäufe zu uns zurückkommt, sind etwa 450 Dollar. Das ist die Dimension des digitalen Vertriebs. Der physische Vertrieb bringt uns in der gleichen Zeit immer noch in Amerika, wo das Business sagt, dass 90 bis 95 Prozent nur noch digital ist, der physische Vertrieb bringt uns im gleichen Monat etwa 2.500 Dollar.

NILS WOGRAM

Da hat jemand zu mir gesagt, wenn du als Musiker nicht auf Spotify bist, wirst du gar nicht wahrgenommen, das ist die Plattform, die alle benutzen. Wenn du da nicht dauf bist, kannst du eh einpacken.
Das ist eine schwierige Situation: wie geht man damit um? Einerseits möchte man wahrgenommen werden als Musiker, man möchte seine Musik verbreiten, andererseits muss man auch gucken, dass die Produktionskosten wieder reinkommen.
Ok, ich habe mich zu einer Art Kompromiss entschlossen, das ist noch nicht perfekt eingerichtet, aber längerfristig soll es so sein, dass man 1 oder 2 Stücke auf Spotify streamen kann. Wenn einen dann das ganze Album interessiert, wenn man das ganze Album hören will, muss man sich das eben über einschlägige Plattformen kaufen.
Also sprich: Streaming, das kann man vergessen.

MODERATION
Volker Dueck sieht noch eine andere Funktion für das Streaming, für die Darbietungsform des Jazzmusikers: das Konzert.

VOLKER DUECK
Wir müssen noch geraume Zeit damit leben, dass Streamingdienste von kostenlos bis 10 Euro im Monat funktionieren:
Das will nicht jeder. Es gibt da die unterschiedlichsten Modelle. Eben wegen der geringen Vergütung gibt es Labels, die verweigern sich grundsätzlich dem Streaming. Es gibt andere, die sagen: ich mache 1, 2 Titel aus dem neuen Album ins Streaming, um die Leute "anzufüttern" und zum download zu verführen.
Und es gibt welche - dazu zähle ich -, die alles in Streaming Services geben, weil noch andere Zusammenhänge wichtig sind außer der Vergütung. Wenn z.B. Künstler touren, wird immer häufiger, ich selbst mache das auch so -, wenn ich den Künstler nicht kenne, schaue ich mal im Streaming Service, höre mir mal das an oder gehe auf YouTube und überlege dann, ob ich ins Konzert gehe oder nicht.
Insofern gehört es auch zum Service für die Musiker zu sagen: ich mache deine Musik hörbar, um Menschen zu helfen, sich zu entscheiden, ins Konzert zu kommen oder nicht.

CHRISTOPHE SCHWEIZER´S YOUNG RICH & FAMOUS, Lan Dene 5:05


MODERATION
Der Schweizer Posaunist Christophe Schweizer mit einem Trio aus Berlin um Christian Lillinger, nein nicht veröffentlicht bei intakt in Zürich, sondern bei Between The Lines von Volker Dueck in Freiburg.
„Jazzlabels im Internet - Absturz oder Chance?“
Nach allem, was wir bis jetzt gehört haben, kann die Antwort lauten: beides, sowohl Absturz, aber auch Chance.
Nur muss man die beiden Begriffe anders deuten.
Das bisherige System - also Musik kaufen, sei es als Tonträger oder soundfile - ist bereits im Sturzflug, bis hinter auf Nischen, wie heute die LP, demnächst die CD, die sehr loyale Fans sich leisten werden; auf der Produzentenseite unterstützt von Mäzenen und Sponsoren in der Schweiz, oder jüngst in Polen, wo ein Millionär einem neuen Jazzlabel aufwändige CD-Verpackungen ermöglicht.
Aber, der Normalfall ist das nicht.
Wer will der Versuchung widerstehen, für 10 Euro im Monat fast den gesamten Jazz-Katalog zur Verfügung zu haben, jederzeit, an jedem Ort?
Und, was wird eigentlich aus den Labels?
Patrick Landolt, intakt records, Zürich.

PATRICK LANDOLT
Wir wussten immer schon, dass wir andere Gelder brauchen. Wir können nicht für 18 Produktionen 18 crowd fundings machen - das ist für einen Verlag überhaupt kein Modell.
Aber, wir müssen uns auf eine Zukunft einstellen, wo der Markt die Produktionen nicht finanziert, sondern wo wir andere Quellen haben. Jetzt ist Fantasie gefragt. Als ehemaliger Journalist und Zeitungsgründer (vor langer Zeit) habe ich gelernt, dass das Abonnement die Zeitung finanziert - also haben wir bei intakt ein Abonnement. Das ist ein maßgeblicher Anteil der Einnahmen, bis zu 30 Prozent unserer Einnahmen kommen übers Abonnement.
Was wir jetzt realisieren, ist, dass wir von der jüngeren Generation nur noch wenige Abonnenten gewinnen.
Wir sind jetzt daran zu überlegen: wie kann man ein Abo konstruieren auf digitaler Ebene? Das Abo ist ja mehr als ein Abo: das Abo ist auch eine Szene, ein Kreis, eine community. Die Abonnenten sind ein Teil der Musiker-community, die intakt vertritt. 

MODERATION
Was wird aus den Labels? Und was wird aus den Verlegern?
Siggi Loch, ACT, ist 75, Manfred Eicher, ECM, 72, Volker Dueck ist 60.

VOLKER DUECK
Ich verstehe, dass die wenigsten Jazzlabels einen Nachfolger finden werden außerhalb der Familie. Wenn ich eine Firma verkaufen will, muss ich die Bilanzen der letzten Jahre vorlegen, und jeder, der eine Bilanz versteht, kann sich errechnen, dass er zuwenig Gewinn erwirtschaften wird, um sich und geschweige denn eine Familie davon zu ernähren. Der wird die Finger davon lassen.
Das ist die eine Seite, warum dieses „Verlegermodell“ nicht mehr aufgeht.
Die andere Seite - wir haben ja drüber gesprochen - Streaming sehe ich als Zukunft. Und so lange das Streaming nicht in einer Weise monetarisiert wird, dass das ganze Investment in recorded music wieder zurückspielt, ist das der andere Sargnagel, der dazu führt, dass die Label oder Verlagsmodelle aussterben werden.
Was dann kommt? Das ist nicht mehr so weit weg, ich wünsche mir, dass ich das noch erleben darf, weil ich neugierig bin darauf, wie sich das entwickelt.
Es gibt 2 Wege: das eine ist, Streaming wird wirklich zu einer Einnahmequelle für Labels, die dann ihre Funktionen weiter wahrnehmen.
Oder ein Horrorszenario ist: dass jeder, der 3 Töne in einer Reihe spielen kann, das aufnimmt, ins Netz stellt. Und wir haben dann statt heute 30 Mio Titel im Netz verfügbar, 6 Milliarden Titel verfügbar - und keiner weiß mehr, was er hören soll.)

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Das war SWR 2 Now Jazz:
Absturz oder Chance?
 Jazzlabels im Zeitalter des Internet
am Mikrofon verabschiedet sich: Michael Rüsenberg

THOMAS RÜCKERT TRIO isaac