Donna Maney, Atlanta, 03.04.2013

Sprechen wir über Weisskehlammern. Hören sie ihren Gesang wie wir Musik?

Warum Weisskehlammern? War es die Qualität ihrer Songs?
Wir untersuchen Weisskehlammern schon seit etlichen Jahren. Dies war aber das erste Projekt mit einer dezidiert musikalischen Fragestellung. Wir haben diese Spezies nicht ausdrücklich wegen ihrer Song-Qualitäten gewählt. Das hat gleichwohl ausgezeichnet funktioniert, weil die Weisskehlammern einen sehr musikalischen Song produzieren.

Sie unterscheiden in Ihrem Papier zwischen Song und Musik. Die Frage, ob Vogel-Songs Musik sind, ist uralt. Schon Darwin hat sie interessiert.
Überwiegend wurde gefragt: ist Song aus demselben Grund wie Musik entstanden? Besteht klanglich eine Verwandtschaft? Dazu gehört auch, ob Song eine westliche Tonskala verwendet, wie die Rhythmen beschaffen sind. Ob Song kreativ ist, wurde auch häufig gefragt.
Aber, Song ist ein Signal. Und zur Definition eines Signales gehört, dass es eine Resonanz beim Empfänger hervorruft. Es gibt also einen Sender und einen Empfänger. Aber statt nun das Signal zu betrachten, haben wir beschlossen, die Reaktion des Empfängers zu untersuchen. Nur das verleiht der Musik Sinn und Funktion.
Der Begriff Vogel-Lied (Song) ist redundant für die, die die Lautäußerungen von Vögeln untersuchen, weil sie ja bereits unterstellen, dass sie von Vögeln stammen. In unserer Arbeit bezieht sich Song immer auf den Vogelgesang.
Manche Musikwissenschaftler, aber auch Philosophen verneinen strikt, dass Vögel Songs produzieren können.
Natürlich produzieren sie keinen humanen Song. Es gibt aber Vögel, die Lieder des Menschen imitieren können, und zwar sehr gut. Unter Song verstehen wir eine bestimmte Art der Lautäußerung der Vogelwelt.
Sie sprechen von einem „homologen“ Signalübertragungsweg unter Singvögeln und Menschen, d.h. eine Verwandtschaft, die auf gemeinsame Vorfahren zurückgeht.  Hängt dies mit dem gleichfalls zwischen Menschen und Singvögeln verwandten Laut-Lernen zusammen, von dem Aniruddh Patel, Erich Jarvis und andere Wissenschaftler berichten?
Eigentlich nicht. Was wir uns anschauen, ist das mesolimbische Belohnungssystem, ein evolutionär sehr alter und bewährter Übertragungsweg, der unter allen Wirbeltieren, auch Fischen, vorkommt. Obwohl es zusammenwirkt und Überschneidungen zeigt mit
Laut-Produzieren und -Lernen, von dem Sie sprechen, existiert es separat davon.
Ich stelle die Frage auch deshalb, weil es ja sehr viele Vogelarten gibt, die überhaupt nicht singen.
Das ist richtig. Und selbst manche Arten, die zu den Singvögeln zählen, singen nicht viel, beispielsweise Krähen. Gleichwohl haben wir Menschen eine homologe Verwandtschaft über diesen Signalübertragungsweg mit den Weisskehlammern, und nicht nur mit Vögeln, sondern auch mit Fröschen, Schlangen und Ratten.
Sind die Gesangsqualitäten der Weisskehlammern angeboren oder erlernt?
Das ist eine sehr gute Frage. Die meisten Singvögel lernen den Gesang. Wenn man ihnen früh ein Modell vorgibt, hören sie zu und kopieren es später. Gleichwohl gibt es einen Anteil, der angeboren ist. Denn wenn man ihnen die Wahl lässt zwischen dem Modell der eigenen oder dem einer anderen Spezies, übernehmen sie das der eigenen. Sie sind aus dem Ei geschlüpft, irgendwie wissend, wie ihr Gesang klingen muss. Sie brauchen dann nur noch ein wenig Anleitung, um das Richtige zu singen. Selbst wenn man ihnen keinen Tutor stellt, werden sie trotzdem singen und bemerkenswerterweise ganz ähnlich, wie es sein soll. Wobei sie hier und da einen Teil auslassen.
Kommen wir zum Design Ihrer Studie, was waren Ihre Erwartungen?
Die Idee dazu stammt von Sarah Earp, der Co-Autorin, sie war seinerzeit als Studentin an meinem Lab, inzwischen studiert sie Medizin in Ohio. Die Studie war Teil ihrer Abschlussarbeit. Sarah hat einen Bachelor sowohl in Musik als auch Neurowissenschaften gemacht. Sie hat unserem Projekt eine Perspektive eröffnet, auf die ich niemals gekommen wäre.
Sarah hatte ein Seminar besucht unter dem Titel „Musik und Gehirn“. Einmal kam ein Dirigent zu Besuch, und es entspann sich eine Diskussion über Vogelgesang. Der Dirigent vertrat die Auffassung, Vogel-Songs seien Musik. Der Leiter des Seminars aber war keineswegs dieser Auffassung. Es entwickelte sich eine lebhafte Debatte, die Sarah nachhaltig beeindruckt hat.
Natürlich muss man, wenn man behauptet, Vogel-Song sei Musik, eine Definition von Musik haben. Die kann ich nicht anbieten. Uns fiel aber auf, dass wir in unserem Lab über alle Ressourcen verfügen, um der Frage nachzugehen: ähnelt die neuronale Resonanz unter Singvögeln auf Song der Resonanz der Menschen auf Musik? Das wollten wir herausfinden.
Indem Sie dabei nicht mehr die Produktion, sondern die Rezeption untersuchen, unterscheidet sich Ihre Studie von früheren.
Genau.
Worin genau besteht der technische Unterschied zu solchen Studien bei Menschen? Sie können wohl kaum einen Vogel in einen Magnet Resonanz Tomografen bewegen?
Es gibt Wissenschaftler, die das tatsächlich machen. Ich habe es auch vergeblich versucht. Das Problem ist, dass das mesolimbische Belohnungssystem im Gehirn eines Singvogels sehr klein ist. Noch reicht auch die Auflösung nicht, um es exakt darzustellen. Die meisten Untersuchungen beim Menschen werden mit Hilfe des fMRT oder PET-Imaging gemacht. Viele der Regionen, die bei Menschen Musik verarbeiten, haben keine klaren Entsprechungen bei Vögeln. Insoweit waren wir beschränkt auf Areale wie subkortikale Strukturen, darunter das mesolimbische System.
Wir haben uns die neuronale Resonanz in bestimmten Arealen des Gehirns angeschaut; genauer: die genomische Resonanz einer Zelle auf einen Stimulus, wobei neues Protein entsteht. Wir verwenden Verfärbungstechniken, um das Protein zu kennzeichnen, das ein Tier benötigt um zu lernen, einen neuen Impuls mit Belohnung zu assoziieren. Unsere Studie interessiert sich aber nicht für das Lernen an sich, wir verwenden das Protein (Egr-1) nur als Markierung für die Aktivität in einer Zelle.
Und hier liegt technisch der prinzipielle Unterschied zu Untersuchungen am Menschen?
Genau. Beim Menschen betrachtet man Veränderungen des Sauerstoffgehaltes im Blut der verschiedenen Hirnareale. Wir hingegen betrachten die einzelnen Nervenzellen, wir können der Resonanz auf dieser Ebene verfolgen.
Uns hat interessiert: unter welchen Umständen hören Vögel Gesang gerne und unter welchen Umständen lieber nicht?
Song wird in dieser Spezies das ganze Jahr über eingesetzt, um Aggression zu kommunizieren. Stellen wir uns vor, es gibt eine Nahrungsquelle und zwei Vögel wollen sie erschliessen - dann singen sie gegeneinander an, um eine Entscheidung zu fällen. Song dient zur Markierung von Machtstrukturen und deren Erhalt. Während der Brutzeit singen die Männchen, um ihr Brutterritorium zu verteidigen. Die Weibchen fühlen sich davon angezogen.
maney_in_officeWir nahmen also an, dass in der Brutzeit, wenn die Vögel mit anderen Worten eine hohe Ausschüttung an Sexualhormonen (z.B. Estradiol) zeigen, der Gesang für die Weibchen weitaus attraktiver ist als außerhalb dieser Zeit, wenn ihr Hormonlevel niedrig ist.
Männchen, wenn sie ein anderes Männchen singen hören, egal zu welcher Jahreszeit, nahmen wir an, werden nicht gerade erfreut darüber sein. Wenn ein Weibchen in der Paarungszeit einen solchen Klang hört und sich ihm nähert, ist das adaptives Verhalten.
Aber ein Männchen sollte sich zu einer solchen Zeit nicht einem anderen singenden Männchen nähern; wenn doch - sollte es gut gewappnet sein. Denn das bedeutet, entweder vertreibt es ein anderes aus seinem Gebiet oder wird selbst von einem anderen vertrieben. Wir wollten Genaueres über den Kontext wissen, in dem diese Vögel Gesang einsetzen.
Wir haben also 23 weibliche und 23 männliche Weisskehlammern, die wir hier auf dem Campus der Emory University halten, ausgewählt, alle in einem Zustand außerhalb der Brutzeit; gefangen worden waren sie im Herbst.
Saisonal brütende Singvögel haben im Herbst nur sehr kleine Eierstöcke und Hoden und sondern nur sehr wenig Reproduktionshormone aus. So lange wir ihnen nur 8 oder 9 Stunden Licht geben, nehmen sie an, es wäre Winter, und produzieren entsprechend wenig Hormone. Die Weibchen haben wir mit Estradiol behandelt, um ihre Blutwerte auf das Niveau der Brutzeit zu heben. Wir haben sie also in einen empfangsbereiten Zustand gebracht, bevor sie männlichen Gesang hören konnten. Die Männchen bekamen Testosteron, um auch bei ihnen den entsprechenden Zustand zu simulieren. Jede einzelne Weisskehlammer bekam dann männlichen Vogelgesang zu hören.
Und die Weibchen fanden den Gesang, in meinen Worten, sehr angenehm und fühlten sich zu den singenden Männchen hingezogen.
Jedes einzelne Areal im Gehirn des Menschen, das auf angenehm empfundene Musik reagiert - und das eine Entsprechung unter Vögeln hat - zeigte auch bei den mit Estradiol behandelten Weibchen die gleiche Resonanz; mit anderen Worten, sie hörten das gerne oder wandten sich ihm zu.  Unter den nicht paarungs-bereiten Weibchen und allen Männchen fanden wir dieses Muster nicht.
Im Gegenteil, bei den Männchen fanden wir Resonanz in der Amygdala und nicht im nucleus accumbens, der Teil des Belohnungssystems ist. Und genau dieses Muster - Aktivität in der Amygdala, nicht aber im nucleus accumbens - ist sehr ähnlich, wenn Menschen dissonante oder ängstigende Musik hören.
Wenn wir den Verwandtschaften zu den Menschen weiter nachgehen, finden wir da Ähnliches unter den Geschlechtern?
Mir sind keine Geschlechter-Unterschiede beim Musikhören der Menschen bekannt. Es gibt zwar interessante Unterschiede im auditorischen System während der Menstruation, man findet minimale Abweichungen z.B. beim Erkennen von Akkorden. Aber ich kenne keine Studie, die Unterschiede in den Musikvorlieben zeigt.
Obwohl wir Menschen also mit den Weisskehlammern den gleichen Signalweg teilen, ergibt sich in dieser Frage auf der Verhaltensebene keine Verwandtschaft?
Es gibt durchaus einige. Wir fanden, dass Hormone die Gehirnaktivität beeinflussen. Aber wir nehmen an, dass das kontext-abhängig ist. Indem wir das Weibchen mit Estradiol behandeln, verändern wir auch ihren sozialen Kontext. Es nimmt an, es befände sich in der Paarungszeit, und das ist ein völlig anderer Kontext als außerhalb dieser Zeit. Und wir wissen, dass Menschen beim Musikhören sehr beeinflusst sind von der Umgebung. Angsteinflössende Musik wird als noch ängstlicher empfunden, wenn man einen entsprechenden Film sieht. Eine neue Studie an der Emory University, aus dem Lab von Greg Berns, zeigt, wenn man Leuten sagt, ihre Freunde mögen eine bestimmte Musik, dass sie sie dann anders bewerten. Nämlich besser.
Musik und Vogel-Song teilen viele soziale Funktionen. Beide ermöglichen soziale Kontakte, reduzieren Konflikte, übermitteln Gefühlszustände und dienen der Aufrechterhaltung interpersonaler Beziehungen. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Vogelgesang und Musik wohl unter ähnlichem Selektionsdruck entstanden sind.
Wir haben gefragt: wie reagiert das Gehirn und nicht warum? Was wir sagen können, ist, dass beides, das Hören von Vogel-Song und von Musik, evolutionär alte Hirnregionen beansprucht, die mit Emotion zu tun haben. Möglicherweise empfinden Vögel Emotionen wie wir, wenn sie den Gesang ihrer Artgenossen hören.
Gelegentlich generalisieren Sie und gehen über das Beispiel der Weisskehlammern hinaus. Denken Sie, dass das, was sie bei dieser Gattung entdeckt haben, auch für andere Arten von Singvögeln gilt?
Absolut! Es hängt allerdings davon ab, wie die betreffende Spezies Song verwendet.
Nehmen wir z.B. den Zebrafink, der verwendet Gesang nur selten zur Aggression, sondern um ein Weibchen in der Nähe zu locken. Ich bin mir also nicht sicher, was bei Vögeln geschieht, die Gesang zu anderen Zwecken einsetzen. Was ich aber dennoch sagen will, ist, dass wir bei Weibchen jedweder Gattung, die sich zu den Männchen wegen ihres Klanges hingezogen fühlen, diese Muster finden, insbesondere in der Paarungszeit. Und ich würde das sogar ausweiten auf jede Tiergattung, die Vokalisieren bei der Balz einsetzt, z.B. Frösche.
Was ich erstaunlich finde: Sie schreiben, außerhalb der Brutzeit sängen beide Geschlechter der Weisskehlammern, „um Beziehungen aufzubauen und zu festigen“. Das widerspricht der landläufigen Annahme, nur Vogelmännchen würden singen.
Stimmt. Bei vielen Vogelarten singen auch die Weibchen, z.B. hier in den USA der Rotkardinal, wo das Weibchen ziemlich viel singt. Viele neurowissenschaftliche Untersuchungen an Vögeln beziehen sich auf den Zebrafink, den wir auch hier in meinem Laboratorium haben. Und dort trifft zu, dass nur die Männchen singen. Da ist es sehr schwer, ein Weibchen zum Singen zu bringen, da muss man es schon als Baby und auch später noch mit Testosteron behandeln. Unter den Weisskehlammern singen die Weibchen in der Tat, wenn auch nicht so viel wie die Männchen.
Singen sie auf andere Weise?
weisskehlammerJa. Der weibliche Gesang ist weniger stereotyp, er variiert mehr, ist jedes Mal anders, auch ein wenig weicher.
Er ähnelt sehr dem Gesang der Männchen außerhalb der Brutzeit. Es ist der Anstieg des Testosterons in der Brutzeit, das den Gesang der Männchen lauter und stereotyper macht; er singt immer wieder das gleiche, wenn er da auf seinem Lieblingsast sitzt und alle 15 Sekunden loslegt. Die Weibchen machen das gar nicht.
Welchen Zweck hat denn der Gesang der Weisskehlammern außerhalb der Paarungszeit?
Es ist ein kämpferisches Signal, um einander zu warnen, es erklingt vor einer Attacke. Wenn ein Vogel den anderen ärgert, ihm im Weg steht oder etwas frisst, was der eine auch will, dann singt er, um dem anderen zu bedeuten, er solle lieber das Weite suchen. Wenn er das nicht tut, dann wird er attackiert.
Warum aber singen die Weibchen außerhalb der Brutzeit?
Aus demselben Grund. Sie kämpfen genauso wie die Männchen.
Wenn ich mit meinen eigenen Worten zusammenfassen darf: ein Verhalten, das ganzjährig stattfindet, bekommt nur zu einer bestimmten Zeit, nämlich der Paarungszeit, einen anderen Zweck. Die Signale sind die gleichen, bekommen aber eine andere Bestimmung.
Das Signal ist zwar ähnlich, aber ich möchte doch sagen, dass der Gesang des Männchens zu dieser Zeit ein wenig anders klingt.  Wenn ich Ihnen Beispiele von weiblichem oder männlichem Gesang außerhalb der Paarungszeit vorspielte, würden Sie den Unterschied erkennen. Da mag der Schluss fehlen, der Song mag z..B unvollständig sein.
Aber das aber ist ja kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller Unterschied.
Ja.
Was ist die biologische Begründung dafür?
Ich denke, Singen ist ein hochgradig Testosteron gesteuertes Verhalten, wie in vielen Spezies nachgewiesen. Ein hoher Testosteronspiegel geht einher mit der entsprechenden Motivation für qualitativ hochwertigen Gesang. Außerhalb der Paarungseit, wenn nicht nur der Testosteronspiegel absinkt, sind die Vögel nicht nur wenig motiviert zu singen - die Hirnregionen, die sie dabei einsetzen, schrumpfen auch. Weil sie einfach nicht so gebraucht werden.
Sie haben die Vögel durch Hormongabe in den Zustand der Paarungbereitschaft gebracht - warum haben Sie nicht einfach auf die entsprechende Jahreszeit gewartet?
Die Geografie zieht uns Grenzen. Wir studieren diese Vögel auch in ihrer natürlichen Umgebung, aber die befindet sich in Maine in New England, 1.000 Meilen entfernt. Und wir wollten diese Studie in unserem Laboratorium durchführen, wo wir sehr genau die Klänge kontrollieren können. Dazu verwenden wir schallgedämmte Zellen, so ähnlich wie die, worin Menschen ihr Gehör testen lassen. Eben wegen dieser kontrollierten Bedingungen konnten wir die Untersuchung nicht vor Ort durchführen. Unser Lab ist in Georgia, und hier brüten sie leider nicht.


 © Michael Rüsenberg, 2013
Alle Rechte vorbehalten