Der weltberühmte Posaunist und der unbekannte Wal

Anmerkungen zu Albert Mangelsdorff*
02/2010



Die Titelzeile (vollständig: „Ein musikalisches Zwiegespräch zwischen dem weltberühmten Posaunisten und dem unbekannten Wal“) ist ein Heiterkeits-Garant.
Sie ist verbürgt, sie stammt aus dem Archivteil der „Albert Mangelsdorff-Rolle“*; mit diesem Satz kündigt Ernst-Waldemar Bauer eine sehr spezielle Performance im Studio an. Gleich neben seinem Schreibtisch steht Albert Mangelsdorff, führt die Posaune an die Lippen und improvisiert behutsam zu den Walklängen, die man ihm aus dem off einspielt.

Der Satz spricht auch von der Verlegenheit des Moderators, einen Repräsentanten einer völlig anderen Welt vor sich zu haben, der zufällig auch - wenngleich auf völlig andere Art - der Magie der Tierwelt verfallen und dies mit seinem Instrument zum Ausdruck bringt (das der Moderator kennt, aber nicht begreift).

„Es ist Musik - zu welchem Zweck auch immer -, was man da von Walen hört. Und es ist einiges dabei, wo man denken könnte, man kann mitspielen. Es ist auch einiges dabei, was sich lohnen würde zu analysieren. Oder anderes, was einfach Inspiration sein könnte für unsereins“, erklärt Mangelsdorff im kurzen Gespräch mit Bauer sein Interesse an Walklängen.

Dieser Auftritt (Datum unbekannt) in der Fernsehsendung „Wunder der Erde“ ist einer von etlichen, für den es Albert Mangelsdorff in einen Sektor des öffentlichen Lebens, weit entfernt von unserer kleinen Welt, verschlagen hat. Wir haben in den Archiven mehrere solcher Begebenheiten gefunden und gern in unseren Film aufgenommen; nicht nur weil wir geschmunzelt haben über die Behäbigkeit oder auch Naivität vergangener Fernsehtage, sondern weil sie zu Albert Mangelsdorff gehören: er hat Gelände betreten, wo wir einen Jazzmusiker nicht erwarten, er hatte „Mainstream-Appeal“. Auch das gehört zur Visualität dieses Musikers.

Wenig überraschend, dass der Mainstream sich dabei kaum für den „amtierenden Posaunenweltmeister“ interessiert, dass ihm seine eigentliche Bedeutung entgeht, sondern dass die Einladungen von einem „Jazz, aber...“ oder genauer einem „Jazz, plus..“ motiviert sind.

Geradezu idealtypisch dafür steht ein Auftritt von Albert Mangelsdorff in der Talkshow „Kölner Treff“ des WDR-Fernsehens 1982. Anlass ist eines von seinen zahlreichen Kooperationsprojekten, diesmal mit dem Kölner Pantomimen Milan Sladek. Im Studio bieten die beiden eine kurze Kostprobe, dem folgender Dialog zwischen Moderator Dieter Thoma und Albert Mangelsdorff vorausgeht:

- Sie treten ja nur noch solistisch auf, im wesentlichen?

- Ja, fast nur noch.

- Reizt es Sie manchmal, wenn sie hören, dass irgendwo Dixieland gespielt wird,

zu sagen: jetzt spiel´ ich mal wieder richtig alten Jazz?

(Mangelsdorff tänzelt  ein wenig mit Posaune am Arm, lächelt und antwortet):

- Nun, wenn Dixieland gespielt wird, nicht. Aber andere Stilarten, sagen wir

mal: vom Bebop an. Im Dixieland habe ich mich nie wirklich wohlgefühlt, es war

nie wirklich meine Musik.

- Nicht ernsthaft genug?

- So kann man es nennen, sagen wir mal: nicht rhythmisch gehaltreich genug.

- Ein Kritiker hat geschrieben, Sie machten Musik für kulturelle Schatzsucher.

Nun gibt es die sehr wenige. Ist das Broterwerb, was Sie machen?

-  Zunächst einmal: ich sehe das überhaupt nicht so. Ich mache Musik für Menschen. Und wer daran Spaß hat, kann zuhören. Es ist alles andere als eine Musik, die schwer verständlich wäre. Sie ist eigentlich sehr emotional. Und kann also von daher auf jeden Fall mitvollzogen und mit-verstanden werden.

Inzwischen ist Milan Sladek bereit, die beiden legen los.

Ein Posaunist und ein Pantomime, der rasch in sein Kostüm schlüpft - eine solche Konstellation ist in einer Show, was die Umbau-Zeiten anlangt, nicht mehr zu unterbieten.

Der Kommunikations-Stil von Albert Mangelsdorff zeichnet sich durch Eigenschaften aus, die auch außerhalb der Jazzwelt hilfreich sind. Er geht auf den Fragesteller ein, freundlich, aber nicht ohne Distanz, er formuliert vorsichtig-abwägend und moduliert langsam die vorgegebenen Begriffe um. Ein Fragesteller kann dabei nichts falsch machen, er muss nicht fürchten, abgewiesen zu werden. Denn kritische Worte, schroffe Ablehnung gar, sind mit einem solchen sanften Stil nicht vereinbar.

Und weil es keinen Strom braucht, ist sein Instrument, das kaum ein Mensch richtig versteht, in den Händen dieses bescheiden wirkenden Menschen überall einsetzbar. So auch beim SPD-Parteitag in Münster, wo das SPD-Mitglied Albert Mangelsdorff vor dem gesamten Vorstand (von Vogel bis Lafontaine, der nicht recht weiß, was er davon halten soll) mit seinem Instrument das Thema der - sehr kurzlebigen - neuen Partei-Hymne „Das weiche Wasser bricht den Stein“ fortspinnt. Oder, nun schon eher in einem Kunst-Kontext, 1990, unmittelbar in der Wendezeit in einer Kirche in Ostberlin, wo Mangelsdorff zum Lyrik-Vortrag von Schauspielern improvisiert. Mangelsdorff und Posaune, die Verbindung ist so stark, dass die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Motiv ihrer Werbereihe mit Prominenten („Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“) auf die Präsenz des Instrumentes verzichten kann: Albert versteckt sich, lesend, hinter der ausgefalteten Zeitung in der Wüste vor Jericho.

Wie schon bei meinem Vortrag beim Jazzforum in Darmstadt 2009 liegt auch bei diesem Text eine Inhaltsangabe unserer viereinhalb Stunden Filmdokumentation außerhalb des Möglichen und Wünschbaren. Ich möchte mir selbst an Hand einiger Filmausschnitte noch einmal einige wenige Perspektiven in Erinnerung rufen; welche Fragestellungen ich damals hatte und wie ich sie im Rahmen unserer Dokumentation umzusetzen versucht habe. Ich möchte große Teile dabei ausklammern, nämlich musikalische und ästhetische Aspekte, die auch andernorts schon hinreichend dargelegt sind. Mir geht es um das Image von Albert Mangelsdorff, um seine Präsenz auch außerhalb der Fachkreise des Jazz, in diversen Kontexten des Mainstream, nennen wir es das „externe Image“.

Wer dies dem im Film ausführlich erforschten jazz-internen Image des Albert Mangelsdorff gegenüberstellt, kann, ohne dass der kommentarlose Film dies ausdrücklich nahelegt, Verwandtschaften entdecken. Es ist offenkundig mehr als nur ein Funke von hier nach dort geflogen.

Denn Albert Mangelsdorff war eine sehr öffentliche Person, seine Medienpräsenz geht über das hinaus, was man auch von einem renommierten Jazzmusiker erwarten darf. Trotz großer weißer Flecken in den 60er und 70er Jahren dürfte er der im TV best-dokumentierte deutsche Jazzmusiker sein, sowohl was reine Konzert-Mitschnitte als auch sein Auftauchen in jazz-fremden Kontexten betrifft. Der einzige, der ihm diesen Rang streitig machen könnte, wäre Klaus Doldinger (kurioserweise war Mangelsdorff 1990 bei einer jenem gewidmeten Fernsehshow zu Gast, bei „Kinder, wie die Zeit vergeht - ein Spiel mit Prominenten“).

Auch Doldinger verfügt - allein schon als erfolgreicher TV- und Filmkomponist - über „Mainstream-Appeal“, aber ich glaube, dass die Anzahl seiner Archivfunde geringer ist, insbesondere im Hinblick auf Konzertmitschnitte (obwohl ich dafür keine harten empirischen Daten anführen kann).

„Die Albert Mangelsdorff Rolle“, wie gesagt, basiert einerseits auf Material, das wir in den Archiven der ARD gefunden haben, und zum anderen auf einem Mitschnitt der Konzerte anlässlich Alberts 70. Geburtstag am 13.09.1998 in der Alten Oper Frankfurt - dem Jubel umtosten, andererseits auch berühmt-berüchtigten Abend, weil die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth den guten Albert - in dessen Gegenwart und vor allem: in der Gegenwart seines Instrumentes - mit seinem Altsaxophon spielenden Bruder Emil verwechselte.

Mangelsdorff hatte jenes Jubiläumskonzert im Trio eröffnet (mit Manfred Schoof und Eberhard Weber), gefolgt von der NDR Big Band, seinem Quintett mit Wolfgang Dauner, einem Duo mit dem Bratscher Alois Kottmann und schließlich - unter dessen Leitung - eine Aufführung von Mangelsdorffs Kammerensemble-Stück „Denk´ ich an Bosnien“.

Am Rande dieses Ereignisses, wie auch Monate später, haben wir Interviews mit Kollegen und Begleitern Mangelsdorffs aufgezeichnet, die dann in Ausschnitten zwischen die Musiken geschnitten wurden. Die erste Sequenz stellt gewissermaßen das Grundpersonal vor, mit Antworten auf die Frage: „Was ist das Image von Albert Mangelsdorff?

Dieter Ilg, der Bassist seines letzten Quintetts, sagt,„...er (AM) ist stellvertretend für den deutschen Musiker.“ Ulrich Olshausen, der frühere HR-Redakteur, sieht zwar fließende Grenzen, „ab derer man von einem Genie sprechen kann“, aber die „absolute Originalität“ sowie auch „der Tiefsinn“ von Albert Mangelsdorff implizieren für ihn - ohne dass er es dezidiert ausspricht - die Charakterisierung „Genie“.

Wolfgang Dauner, sein langjähriger Pianist: „Er arbeitet an der Musik, dauernd“, Eberhard Weber (mit dem er z.B. sein allerletztes Konzert in Lörrach am 17.12.2004 gespielt hat) lobt den „Meister der Posaune, der unverwechselbar spielt“

Der frühere SWR-Redakteur und Konzertveranstalter („Jazz im Palmgarten“) Werner Wunderlich: „Er ist uns Albert, wie wir hier in Frankfurt sagen, geblieben, der ernsthafte, aber auch Scherzen zugeneigte, durch und durch zuverlässige Musiker mit hohem künstlerischen Anspruch“. Ex-NDR Big Band-Chef Dieter Glawischnig kreiert einen neuen Begriff, er nennt Mangelsdorff einen „Evoluzzer.“ „Er bricht nicht mit der Tradition, sondern versucht die für ihn wichtigen Parameter des Jazz beizubehalten und dann seine eigenen Ideen draufzusetzen.“

Wolfgang Haffner, der Schlagzeuger seines letzten Quintetts, stellt heraus den „bodenständigen Menschen, das ist selten, wenn man so berühmt ist.“. Der Frankfurter Kammermusiker Alois Kottmann betont die gemeinsame „Liebe zur Heimat. Es gibt Dinge, die nur in Frankfurt machbar sind und woanders nicht.“ Schließlich der Trompeter Manfred Schoof: „Er geht vorsichtig an Dinge heran, aber auch mit großer Bestimmtheit, und das ist auch seine Art, wie er mit Menschen umgeht. Das ist eine einzige Größe und das überzeugt mich sehr.“

Diese Antworten können kaum überraschen. Sie akzentuieren das vertraute Bild eines anerkannten, ja verehrten Musikers, das irgendjemand mit „Willy Brandt des deutschen Jazz“ respektvoll und doch nicht ganz so zutreffend charakterisiert hat. Denn Kritik wie einst Willy Brandt ist Albert Mangelsdorff nie entgegengeschlagen. Das ist sein Alleinstellungsmerkmal. Und Albert Mangelsdorff war mehr: eine „Lichtgestalt“, ein „Jazz-Heiliger“ gar, wie ihn Michael Naura in seiner launigen Art einmal charakterisiert hat.

Den Tenor der Urteile hatte ich erwartet, ihre Einmütigkeit aber war mir suspekt, ich konnte sie nicht glauben. Und ich war dankbar, in den Interviews wenigstens einen kleinen Kontrapunkt gefunden zu haben: einer der wenigen, die wenigstens Distanz zu Albert Mangelsdorff erkennen ließen, war sein langjähriger Saxophonist Heinz Sauer. Er sagt in dieser ersten Sequenz: „Es hat sich so ergeben, dass jetzt der Albert so synonym für den Jazz in Deutschland ist. Das hätte auch jemand anders sein können.“

Viele werden dieser Einschätzung widersprechen - vor allem, wenn man herauszuhören meint, dass Sauer dabei durchaus auch an sich gedacht haben könnte. Aber, das ist Spekulation. Fakt ist, dass Heinz Sauer im Film-Interview vieles an Albert Mangelsdorff schätzt, ja ihn ausdrücklich lobt - nur anders, weniger schwärmerisch, und vielleicht deshalb präziser. Im Interview ringt er mit sich, stellt die ästhetischen Differenzen heraus, die sich später verflüchtigen, weil Sauer einräumt, von Mangelsdorff die zentrale Botschaft „Du mußt Dich selbst spielen“ gelernt zu haben. Und dann im Interview zu dem Resümee gelangt: „Wie er ist, so hat er gespielt.“

Meines Wissens hat selten jemand so prägnant und scheinbar auch überzeugend einen der zentralen Glaubenssätze der Jazz-Ästhetik dargelegt wie Heinz Sauer in diesem Film - nämlich das Credo, dass sich der soziale Charakter eines Jazzmusiker in seinem Spiel zeige.

Darüber müsste man noch einmal gesondert nachdenken, und ich will die aufflammenden Gedanken ersticken mit einem vielzitierten Gegenbeispiel, nämlich Stan Getz, über den der Satz von Wayne Shorter kolportiert wird: „Wie kann ein solches Arschloch eine so schöne Musik spielen?“ In den Film-Statements findet sich dankenswerterweise eine geradezu analytische Betrachtung dieser Frage durch Ulrich Olshausen:

„Man weiß es ja, dass absolut grauenhafte Menschen die wundervollste Musik machen können und dass charakterlich positive Eigenschaften auch nicht unbedingt etwas bedeuten bei der Umsetzung in Musik. Das kann man so empfinden, wenn man den Albert gut kennt. Aber dass es da psychologische Zwangsmechanismen gibt, das würde ich doch in Zweifel ziehen.“

Ein weiterer denk-würdiger Satz von Heinz Sauer in diesem Film: „Der Albert hat durch Schweigen geführt.“ War Sauer demnach ein Geführter - und vielleicht kein Freund? Aufschlußreich ist die dann folgende Passage über das sehr unterschiedliche Verständnis von „Freundschaft“ zwischen Sauer und Mangelsdorff. Ein Unterschied, der nicht nur sprachlich sich artikuliert, sondern auch sehr unterschiedliche Wahrnehmungen indiziert.

Aufgrund einer Zeitungsmeldung 1964 („Albert Mangelsdorff kommt mit seinen Freunden aus Südostasien zurück“) frage ich beide: „Wart Ihr Freunde?“

Mangelsdorff bleibt in seiner Antwort undeutlich, spricht davon, dass man sich „erstmal als Musiker respektiert“ und „auch untereinander ein gutes Verhältnis die ganzen Jahre über“ gehabt habe. Es habe auf Reisen nie Probleme gegeben.

Sauer ist auch hier ausführlicher: „Den Begriff Freundschaft zu definieren, bräuchte eine eigene Sendung. Freunde wie in der Popmusik waren wir nicht. Dann wäre die Musik nicht so spannend gewesen, wir waren alle sehr verschieden. Ich war einer der ersten Jazzmusiker, die auch ein Abitur hatten. Schon allein daher kamen Spannungen. Die haben wir auf der Bühne ausgetragen und sind auch gut damit zurechtgekommen. Wir haben uns schon laut gestritten. Aber die Musik war das, was uns zusammen hielt. - Frage: „Es gibt ja das Gerücht, Heinz Sauer und Albert Mangelsdorff hätten sich nie in der jeweils anderen Wohnung besucht!“ - „Ja, sicher. Und das ist auch gut so. Das halte ich eigentlich fast so mit den Mitgliedern der Gruppe, mit denen ich jetzt spiele. Es ist wie in der Ehe, wie bei Beziehungen überhaupt: man braucht auch Distanz. Das ist sehr wichtig, um den anderen zu respektieren. Das war eine Lebenserfahrung, die habe ich damals schon gemacht. Das war ein Prinzip, und das war auch gut so.“ (Sauer)

In einem zweiten, späteren Meinungsblock des Films wird das Image von Albert Mangelsdorff erneut thematisiert, und zwar an Hand des Wortes von der „Lichtgestalt“, das ich irgendwo gefunden hatte.

Dieter Glawischnig ist von diesem Begriff angetan: „Es steht überall Urgestein. Mir gefällt Lichtgestalt viel besser. Und ich glaube, es liegt auch an seiner menschlichen Persönlichkeit. Er ist ein Mensch und ein Musiker von vollendeter Integrität.“ Manfred Schoof: „Ich würde sagen: ein sanfter Revolutionär.“

Wolfgang Haffner: „Wenn der Albert das jetzt hören würde, würde er sagen: Lichtgestalt? Was soll das? Ich kenne auch andere Musiker, die sind wirklich groß, aber die haben auf menschlichem Gebiet Defizite. Daß sie eben den Star rauskehren. Das habe ich bei Albert nie erlebt. Nie.“

Dieter Ilg: „Die Lichtgestalt Albert Mangelsdorff besteht aus seiner Schlichtheit nach außen hin. Ich habe ihn kürzlich als introviertierten Leidenschaftler beschrieben. Und meistens sind diese Leute wesentlich stoischer und ausdauernder in ihrem Tun als die Leute, die extrovertiert sind.“

Ulrich Olshausen. „Da ist viel dran. weil der Albert einfach kein böses Wort über seine Lippen bringt. Und wohl auch keinen Neid zu empfinden fähig ist. Und insofern tendiert er so ein bißchen zum Heiligen, ja.“

Olshausen halte ich eine seiner Aussagen aus dem Interview-Band von Bruno Paulot (Oreos Collection Jazz, Waakirchen, 1993) vor: „Was aber seine Spielweise angeht, da ist er äußerst empfindlich.“ Andere Musiker wie Christof Lauer oder Heinz Sauer könne man als Redakteur durchaus mal kritisieren („Ich finden Deinen ersten Chorus viel besser als den zweiten, oder: Dein Chorus ging nicht so richtig los“. Das dürfe man dem Albert aber nicht sagen, er habe da „einen gewissen Einsiedlerstolz“.

„Stimmt. Er ist da empfindlich, aber das ist keine Moralfrage. Und wenn du das jetzt gegen das Heiligtum stellst, dann stimmt das insofern nicht so ganz, als man auch ein empfindlicher Heiliger sein kann. Aber es stimmt, Albert ist da empfindlich. Ich habe ihn einmal mit einem amerikanischen Musiker verglichen, da ist er das einzige Mal mir gegenüber wirklich ausgeflippt. Und für ein, zwei Sätze richtig biestig geworden, das hat er einfach nicht akzeptiert.“

Werner Wunderlich ergänzt: „Ich glaube, die einzige Kritik, die er manchmal erfahren hat, ist die seiner Musiker. Oder auch von Kritikern, die der Entwicklung seiner Musik nicht ganz folgen konnten.“

(Erstaunlich, im nachhinein, dass keiner der Interviewten an Mangelsdorffs Zeit als Leiter des Jazzfest Berlin, 1995-2000, denkt; auch in dieser Funktion hat er offenkundig weniger Kritik erfahren als seine Vorgänger und Nachfolger. Im Grunde hätte ich fragen müssen - was mir heute näher liegt als damals -, ob Albert Mangelsdorff nicht eben auch „Charisma“ gehabt habe.)

Eine von Kollegen erfahrene Kritik, wie sie Werner Wunderlich anspricht, kam der Öffentlichkeit auch erst sehr spät, erst posthum zu Ohren - im November 2009, als anlässlich der Verleihung des Albert Mangelsdorff Preises (!) in Berlin der Preisträger Eberhard Weber in seiner launigen Dankesrede mit der Sottise herausplatzte: „Albert war nicht unbedingt ein Unterstützer der Emanzipation des Basses.“

Oft habe Mangelsdorff ihm morgens, beim Frühstück, bedeutet: „Eberhard, Du hast mir wieder den Abend versaut gestern“ (große Erheiterung im Haus der Berliner Festspiele). „Aber, das letzte Konzert (Lörrach, 17.12.2004) war sehr schön, ich habe leiser gespielt. Ich habe bumm-bumm gespielt, hinten wie es sich gehört, und da war er ganz zufrieden.“

Im Film äußert sich Albert Mangelsdorff selbst zu seinem überaus positiven Image: „Na ich versuche erst mal, das nicht als Lobhudelei zu sehen. Abgesehen davon, dass ich nicht sehr viele Kritiken lese. Aber, was wäre denn, wenn das umgekehrt wäre? Dann ist mir das schon lieber. Zwischenfrage: Aber man wird doch sicher müde, im Prinzip immer das gleiche zu lesen. Dass man schließlich sagt: mein Selbstbild ist ja doch ein anderes als das, was sich als Image in der Öffentlichkeit breitgemacht hat. - Das ist eine gute Frage, worauf ich jetzt keine richtige Antwort finden kann. Ich kann nur sagen, das ist ja ein Riesenglück, dass man fast immer gut beurteilt wird. Und schließlich hat man ja auch was dafür getan. Man hat sein ganzes Leben darauf eingestellt. Ich weiß, dass vieles, was geschrieben wird, nicht unbedingte Sachkenntnis beweist. Ich kann eigentlich nur sagen, dass ich da ein Riesenglück habe.“

Der Schlußsatz hier ist der Schluß aus dem Film, der Geburtstagsglückwunsch von Dieter Glawischnig für Albert Mangelsdorff, zu dessen Siebzigstem, 1998:

„Lieber Albert, we all love you madly!“ 

 

* Der Text ist in dem Band zum 11. Darmstädter Jazzforum (Wolke Verlag) veröffentlicht.
Er bezieht sich auf den Film:
"Die Albert Mangelsdorff Rolle“, Buch: Michael Rüsenberg, Regie: Christian Wagner,
Rockpalast Nacht, WDR-Fernsehen, 03.09.2000, 1:45 bis 6:15 Uhr

© Michael Rüsenberg, 2010 Alle Rechte vorbehalten