Kaufhausmusik

Verführer oder Klangtapete?
HR2, 10.06.1998

31.12.98, DLF
14.12.98, WDR 5 (gekürzt)


O-TON-Szene 1. Kaufhof, Düsseldorf


MODERATION

Eine solche Klang-Inspektion gehört nicht zur Alltagsroutine von MICHAEL HARTMANN - er unternimmt sie auf Bitten des Reporters.

MICHAEL HARTMANN, geboren 1935, ist seit 1959 in Düsseldorf in Sachen Hintergrundmusik tätig, auch "Funktionelle Musik" genannt.

HARTMANN vertritt die MUZAK CORPORATION, den mit 250.000 Kunden weltweit größten Anbieter Funktioneller Musik. MUZAK ist 1934 in New York entstanden, und zwar mit der Idee, ein werbefreies Radio-Musikprogramm - gegen Gebühr - auszustrahlen.

Die europäische Zentrale von MUZAK sitzt im niederländischen Hilversum; von dort aus wird das Programm per Satellit verbeitet; für rund 150 DM monatlich kann der Kunde aus 6 Musikprogrammen wählen:

Kanal 1 - CLASSICAL; Klassische Musik, Tempo: leicht/mittel

Kanal 2 - ENVIRONMENTAL, auch Instrumental-Kanal genannt; Tempo: leicht/mittel

Kanal 4 - EASY LISTENING, Tempo: leicht

Kanal 5 - SOULFULL, Pop, Soul und Latin; Tempo: leicht/mittel

Kanal 6 - MIDDLE OF THE ROAD, Evergreens; Tempo: mittel/schnell

Kanal 7 - POP/DANCE, aktuelle Hits; Tempo: schnell

Die Kanäle 3 und 8 können für individuelle Werbedurchsagen genutzt werden.

In Deutschland haben ca. 30.000 Betriebe Hintergrundmusik bei Muzak oder einem anderen Anbieter abonniert. Das Marktvolumen hierzulande wird auf jährlich 50 Mio DM geschätzt, worin Werbung und Gerätemiete nicht enthalten sind.

Die größten Gegner von MUZAK & CO sind nicht die Kulturkritik, sondern die selbstbespielten Cassetten und die Übernahme von Radioprogrammen seitens der Geschäftsleute.


O-TON-Szene 2. H & M, Düsseldorf


Zitat

So inspirierte französische Akkordeonmusik bei einem Test zum Kauf französischer Weine, mit deutscher Volksmusik berieselte Kunden bevorzugten dagegen eher deutsche Weine. Daß die Musik ihn beeinflußt haben könnte, merkte kaum ein Kunde.

Aus einem Artikel des Evangelischen Pressedienstes, kurz vor Weihnachten 1997. Nirgendwo findet man die gängigen Vorstellungen über Kaufhausmusik so konzentriert beisammen wie in diesen Zeilen.


O-TON-Szene 3. Ansons, Düsseldorf


Zitat Hans Magnus Enzensberger

Obwohl praktisch die gesamte Bevölkerung der Republik zu den Betroffenen zählt - man kann durchaus den Eindruck haben, daß sie geradezu von Betroffenheit trieft -, steht die Gruppe der Musikopfer einzig da. Sie wird nicht bedauert, sondern verhöhnt. Jeder Moslem, der sich weigert, Schweinefleisch zu essen, kann auf inniges Verständnis rechnen...Nur der Schallallergiker sieht sich einem brutalen Kesseltreiben ausgesetzt. Die Vorkehrungen, die er treffen muß, um sich dem allgegenwärtigen Musikantenstadl aus Heavy Metal, Vivaldi, Techno, Blaskapelle und Tic Tac Toe zu entziehen, kommen einer Behinderung gleich.

Die Versuchung, mit der Kalaschnikow auf jeden erkennbaren Lautsprecher zu schießen, droht übermächtig zu werden; nur die Einsicht, daß dies den Lärmpegel weiter erhöhen würde, hält den Besonnenen von solchen Handlungen ab.

Der Schriftsteller HANS MAGNUS ENZENSBERGER


O-TON-Szene 4. Möbelhaus, Düsseldorf


O-TON KLAUS-ERNST BEHNE

Ich habe mich schon oft über Hintergrundmusik aufgeregt. Ich werde nie vergessen, wie ich 1973 in Bielefeld im Hallenbad unter der Dusche stehe und Musik und die Verkehrsdurchsagen des Großraums Stuttgart gehört habe. Was mich 1. nicht interessiert, und 2. musikalisch genervt hat.

Und ich habe auch schon relativ oft im Lokal oder im Hallenbad dagegen protestiert und gesagt: "Können Sie das nicht abschalten?" . Ich mache es heute etwas seltener, weil ich meine Leben auch versuche so einzurichten, daß ich weniger in solche Situationen komme.

Prof. KLAUS-ERNST BEHNE, Präsident der Hochschule für Musik und Tanz in Hannover.


O-TON-Szene 5. P & C, Düsseldorf


O-TON KLAUS-ERNST BEHNE

Ich hab´ eigentlich über Jahre beobachtet, daß mir immer mehr Untersuchungen auf den Schreibtisch kamen, die Wirkungen von Musik belegen, im Experiment beweisen wollten - und keine solchen Effekte fanden.

Und diese zunächst sporadische Kenntnis von Untersuchungen, die keine Wirkung von Musik fanden, hat mich dann veranlasst, etwas systematischer zu prüfen, wie es sich seit den ersten Wirkungsstudien von Musik verhält.

D.h. ich habe über einen Zeitraum von etwa 60, 70 Jahren - genau genommen die erste Studie kommt von 1911 - alle Untersuchungen, derer ich habhaft werden konnte, gesammelt, das waren gut 150 Studien, und diese Studien habe ich daraufhin klassifiziert, ob sie harte Wirkungen von Musik finden - z.B. daß im Kaufhaus mehr gekauft wird mit Musik als ohne Musik - oder ob sie schwer zu interpretierende oder schwache Effekte hatten oder ob sie - was erstaunlich oft vorkommt - keine Effekte von Musik fanden. Und es hat sich gezeigt, daß in etwa einem Drittel dieser 150 Untersuchungen keine Wirkungen von Musik gefunden werden.

Sie sprechen von "Musik", meinen aber sicherlich die Hintergrundmusik?

Ich meine jetzt im wesentlichen Musik, die von der Funktion her als Hintergrundmusik konzipiert ist und auch entsprechend wahrgenommen wird. Ich spreche nicht von Musik im Konzertsaal, nicht von Musik, der man sich willendlich, konzentriert aussetzt.Das ist ganz wichtig, daß man das auf diese Situation beschränkt. Und es geht im allgemeinen immer darum, ob die Hintergrundmusik Auswirkungen hat auf nicht-musikalisches Verhalten.

Prof. KLAUS-ERNST BEHNE über seine Studie "Zu einer Theorie der Wirkungslosigkeit von (Hintergrund)-Musik", die im "Jahrbuch Musikpsychologie 1998" veröffentlicht werden wird.

 


O-TON-Szene 6. Vosswinkel, Düsseldorf


MODERATION

In seiner Analyse von 150 Studien zur Hintergrundmusik berichtet KLAUS-ERNST BEHNE, daß ein Drittel - und nimmt man die jüngeren Arbeiten - sogar die Hälfte dieser Studien keine Wirkungen von Hintergrundmusik gefunden haben.

Das bedeutet, daß der große Rest ja wohl doch Wirkungen gefunden haben muß!

O-TON KLAUS-ERNST BEHNE

Das sind Wirkungen, z.B. daß Menschen schneller gehen; Wirkungen daß Menschen konzentrierter arbeiten, aber auch Wirkungen, daß Menschen weniger konzentriert arbeiten. Denn es gilt: wenn die Tätigkeiten, auf die Musik sich auswirken könnte, komplex sind, die Betreffenden sehr stark fordern, dann gibt es auch negative Wirkungen, indem z.B. schneller gearbeitet wird, aber auch gleichzeitig mehr Fehler gemacht werden.

Tatsächlich ist es so, daß es im Bereich der Konzentration kaum förderliche Wirkungen von Musik gibt, daß es häufiger negative Wirkungen gibt, was man z.B. daran ablesen kann, daß beim Autofahren in monotonen Situationen positive Wirkungen zu beobachten sind. Also wenn ich nachts von 12 bis 3 Autofahren würde, würde ich auch Musik hören. Aber man ist gut beraten, das Autoradio aus zu lassen, wenn man in der rush hour durch eine Stadt fährt, weil man da sehr viele Informationen verarbeiten muß. Und wenn zu diesem Informations Overkill dann noch eine andere Information - nämlich die Musik - hinzukommt, und diese möglicherweise sogar noch komplex ist, schnell gespielt - dann hat es mit Sicherheit abträgliche Wirkung.

 


O-TON-Szene 7. Bornemeyer, Düsseldorf


O-TON KLAUS-ERNST BEHNE

Hat es denn bei den von Ihnen untersuchten 150 Studien überhaupt eine gegeben, die die Hauptthese bestätigt hätte, die ja so viele Leute vermuten, daß sich durch den Einsatz von Hintergrundmusik der Umsatz steigern ließe?

Das ist sporadisch mal als Ergebnis aufgetaucht.

Aber wenn man die Untersuchuchungen sozusagen in toto betrachtet, muß man sagen: wenn ich 10 Studien habe, kann es auch sein, daß ich bei 1 oder 2 mal bei einer Variablen dieser Effekt auftritt. Aber insgesamt muß man sagen ist es nicht zu beobachten...

wobei man sich vergegenwärtigen muß, daß vor allem Studien aus den letzten 10 Jahren, die methodisch sehr sorgfältig gemacht sind, die im Feld - also z.B. in einem Supermarkt durchgeführt sind - defacto nichts in der Richtung gefunden haben.

MODERATION

Eine der Studien, von denen KLAUS-ERNST BEHNE spricht, ist die z.B. die von GÜNTHER RÖTTER und CATRIN PLÖSSNER.

Die beiden Musikpsychologen haben in einem Supermarkt einer westfälischen Großstadt Funktionelle Musik eingesetzt - wechselweise, je einen über den anderen Tag -, und die Umsätze der Tage mit und ohne Musik miteinander verglichen. Das Ergebnis ist eindeutig.

Zitat RÖTTER und PLÖSSNER

Hintergrundmusik wirkt sich nicht auf die Stimmung der Probanden aus und somit bewirkt sie weder eine größere Aufenthaltsdauer noch ein Wachstum des Umsatzes....

In einer weiteren Studie haben wir außerdem die Wirkung eines neuerdings immer öfter eingesetzten Rundfunkprogramms getestet, das speziell für Supermärkte konzipiert ist. Auch hier finden sich keine umsatzfördernden Effekte.

O-TON KLAUS-ERNST BEHNE

Also ich würde das ganz schlicht damit erklären, daß Musik in unserem Alltag in den letzten Jahrzehnten immer allgegenwärtiger geworden ist. Das hängt damit zusammen, daß sozusagen die Verbreitung von Tonmedien im weitesten Sinne immer weiter zugenommem hat. Das bedeutet, daß manche Menschen heute zu 30 bis 60 Prozent der Wachzeit, die sie wach sind, Musik hören, die sie in vielen Föllen gar nicht ausgesucht haben; und so wie jemand, der an einer belebten Kreuzung schläft, lernt sich abzuschirmen und nach einer Weile ruhig schläft, obwohl draußen die Lastwagen brummen, so haben viele Menschen gelernt, Musik abzuschirmen, die sie nicht hören wollen, die sie nicht selbst ausgesucht haben.

Und es ist heute schwierig zu entscheiden, ob dieser positive Aspekt - daß wir sozusagen uns abschirmen nach außen -, ob der möglicherweise nicht auch impliziert, daß unsere generelle Fähigkeit, uns Musik im positiven Sinne zuzuwenden, ob die dadurch in irgendeiner Form beeinträchtigt ist.


O-TON Szene 8: Fernsehturm, Düsseldorf; MICHAEL HARTMANN

Es gab einmal eine, in den Endsechziger Jahren, eine Veröffentlichung der Jungen Kommunistischen Union in Berlin, die eine Reportage oder einen Artikel über Muzak geschrieben hat. Und das war dann voller Schlagwörter, und schweißtreibende Überforderung des Konsumenten und des Angestellten, des Arbeiters, des Proletariats oder wie das war.

Aber ich hab´ immer gesagt und gedacht: wenn Muzak das könnte, was dort unterstellt wird, dann würden bei uns die Kunden Schlange stehen. Sie müssten Schlange stehen!


O-TON KLAUS-ERNST BEHNE

Es gibt heute im Grunde genommen eine ganze Menge von Räumen, in denen keine Musik (mehr) läuft, weil ich glaube, daß viele Geschäftsinhaber, Supermarktbesitzer, Kaufhausbesitzer zu der Erkenntnis gelangt sind, daß die Musik eigentlich nicht viel bringt... und ich kann jedem, der für diese Art von Musik Geld ausgibt, nur sagen: die verheißenen Wirkungen sind denkbar unwahrscheinlich.

Und man kann das Geld in andere Dinge investieren, z.B. in die lokale Musikschule.


© Michael Rüsenberg, 1998 Alle Rechte vorbehalten